Der tariqat („spiritueller Pfad“) ist der Pfad durch den der Sufi in Einklang mit der Göttlichen Natur kommt. Er beinhaltet spirituelle Armut („faqr“), Hingabe und die ständige und selbstlose Erinnerung an Gott (dhikr), das alles wird durch das Gewand des Derwisch („khirqa“) symbolisiert.
Spirituelle Armut („faqr“)
Das ist beides, das Gefühl unvollkommen und bedürftig zu sein und das Streben nach Vollkommenheit. Der Prophet Muhammad sagte in diesem Zusammenhang: „Meine Armut ist mein Stolz und ich wurde von allen Propheten durch die Gnade dieser Armut ausgezeichnet.“ Und Gott offenbarte dem Propheten: „Sprich, oh Gott erhöhe meine wahre Erkenntnis von Dir.“ Wie diese Worte andeuten, war es für den Propheten unerlässlich sich seiner Armut bewusst zu sein und stets nach der Nähe zum Wesen Gottes zu trachten, obwohl ihm das Ehrenamt des Prophetentums verliehen wurde.
Das Gewand des Derwischs (die „khirqa“)
Die Khirqa ist das Gewand der Ehrung und Hingabe des Derwischs. Es symbolisiert die Göttlichen Natur und Attribute. Manche Menschen haben fälschlicherweise angenommen, dass das Gewand diese Eigenschaften besitzt und wenn man solch ein Gewand trägt, man zu einem Heiligen werden würde. Jedoch das bloße Tragen von spiritueller Kleidung macht niemanden zu einem spirituellen Menschen. Ein Sufi trägt was er möchte, während er in Einklang mit dem ist, was die gesellschaftliche Norm darstellt. `Ali sagte: „Trage eine Kleidung, die weder verursacht, dass du verächtlich angeschaut wirst, noch dass du bewundert und beneidet wirst.“ Somit sind es nicht die Gewänder, die jemanden zum Sufi machen, sondern sein Verhalten und sein inneres Wesen.
Besteige den Thron des Herzens und mit Reinheit des Verhaltens sei ein Sufi.
– Sa`di –
Das Gewand des Sufi ist mit der Nadel der Hingabe und dem Garn der selbstlosen Erinnerung an Gott genäht. Derjenige, der wünscht mit diesem Gewand, der spirituellen Armut, geehrt zu werden, sollte sich in Hingabe dem spirituellen Führer anvertrauen. Wahre Hingabe zieht das Herz zum Geliebten und beinhaltet ständige Aufmerksamkeit zur Wahrheit und dauerhaftes Bemühen die Aufmerksamkeit zum Ego loszulassen. Dies beinhaltet einen bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem spirituellen Führer.
Der spirituelle Führer dringt, in spiritueller Hinsicht, in die Tiefen der Seele des Schülers ein, verwandelt seine negativen Eigenschaften und beseitigt die Unreinheiten der Welt der Vielheit. In anderen Worten: er nimmt die Nadel der Hingabe aus der Hand des Schülers und näht ihm mit Hilfe des Garnes, der selbstlosen Erinnerung an Gott, das Sufi-Gewand. Daraufhin wird der Schüler durch den Segen dieses Gewandes, der Göttlichen Namen und Attribute, ein vollkommenes menschliches Wesen.
Die kontinuierliche, selbstlose Erinnerung an Gott („dhikr“)
Geborgen im Absoluten, der Unendlichen Einheit befinden sich Kräfte, die ausströmen und sich als geschaffene Wesen manifestieren. Jedes einzelne Wesen erhält, ihrer Natur entsprechend, seine Gnade von diesen Kräften. Es mit Worten auszudrücken, die Manifestationen dieser Kräfte oder dieser Wahrheit (“haqq") werden durch die Göttlichen Namen ausgedrückt. Zum Beispiel: Der Name „Der Lebendige („al Hayy“), der das Leben der Schöpfung darstellt, ist unmittelbar mit Gott verbunden, oder: der Name „Der Transzendente“ („al-`Ali“), der die Kraft des Kosmos darstellt, liegt auch in Gott.
Die Göttlichen Namen der selbstlosen und andauernden Erinnerung an Gott (dhikr) werden vom Meister des spirituellen Pfades verordnet um den Schüler von der Krankheit des Egos und dessen Begierden und Ängsten zu befreien. Doch die Erinnerung hat keinen Wert, solange nicht die Wahrnehmung völlig auf die Bedeutung des jeweiligen Namens gerichtet ist. Nur durch die völlige Bekenntnis und Liebe zum Wesen der Göttlichen Namen vermindert sich die Aufmerksamkeit auf das Ego. Nur dann, wird das Selbst gereinigt und mit den Göttlichen Eigenschaften geschmückt.
Lange hat der Geliebte sich meinem offenen Herzen zugewandt,
so dass außer Seiner Attribute und Natur nichts mehr dem Herzen geblieben ist.
– Maghribi –
Nur auf solche Art und Weise kann eine Wiederholung der Göttlichen Namen, „ständige und selbstlose Erinnerung an Gott“ („dhikr“) genannt werden.
Der Schüler gleicht einer Maschine, die durch die Energie der Hingabe gespeist wird. Diese Maschine verwandelt durch die selbstlose Erinnerung an Gott alle Begierden und Ängste des Egos in Göttliche Attribute.
Allmählich schwindet das Ego des Schülers und die Göttliche Natur manifestiert sich; nun wird der Schüler zum wahren Empfänger des Sufi-Gewandes und das Herz und die Seele werden durch den Segen der Göttlichen Attribute erleuchtet. An diesem Punkt ist der Schüler würdig, dem spirituellen Fest der Sufis beizuwohnen, das in der „Schenke des Entwerdens “ („kharabat“) stattfindet. Dies ist die Station des „fana`“ („Das Auflösen des Selbst in Gott“). Hier erkennt der Sufi auf unmittelbare Weise die Geheimnisse der Wahrheit, wie es im Koran angedeutet wird:
„Nur die Reinen sollen Es [Die Wahrheit] berühren!“ (Sure 56:79).
Im Sufismus werden diese „Reinen“, „Vollkommene menschliche Wesen“ genannt.
Diese Textauszüge stammen aus den Schriften von Javad Nurbakhsh.